Dartagonia

Die Abenteuer des Ambrosius Gehret  Teil 3

  Text copyright © by OPPA, The Elend on Tour  
 


 
 
 

Der bleiche Mond schien durch das dünne Glas und warf seinen Schatten an die Wand. Lady Basolamonas Anwesenheit in einem der Räume seines Hauses brannte in seinem Bewusstsein. Die alten Erinnerungen traten an die Oberfläche wie ungeliebte Gäste, die sich nicht abwimmeln ließen. In früheren Tagen wäre er ausgeritten, um das Blut in der eisigen Nacht zu kühlen. Doch die Stallknechte waren zusammen mit den Pferden verschwunden. Inzwischen war die Dunkelheit zu nahe gerückt und die Gefahr zu groß, den Rückweg nicht wieder zu finden. Zu lange hatte er seine Ambitionen genährt, um diesen Weg zu wählen.
Beinahe hätte er die Bewegung in der Tür nicht bemerkt. Er wandte den Kopf in der Erwartung, Carl mit einem Schlaftrunk vorzufinden. Die Gestalt strich wie ein Schatten die Wand entlang. Metall funkelte eine Sekunde im Mondlicht, als das Messer durch den Raum strich. Die Klinge fuhr in die Stelle, an der eben noch der Zauberer gestanden hatte. Es waren die eingeübten Reflexe, die seinen Leib in Bewegung setzten. Er rollte über den Boden und kam einen Schritt neben dem Angreifer hoch. Der Mann trug einen Umhang, unter der Kapuze war kein Gesicht auszumachen. Der Zauberer begriff, dass sein Gegenüber keine Magie beherrschte, aber der Attentäter besaß Fähigkeiten, die beinahe ebenso tödlich waren. Die Klinge kreiste mit unglaublicher Präzision und durchtrennte das Gewand des Zauberers. Heftig sog er die Luft ein, als das Eisen gegen die Wand prallte. Er taumelte einen Schritt zurück, bis er mit der Schulter gegen ein Bücherregal stieß. Er war verloren, es war ihm nicht möglich, die Kampfkunst des Angreifers zu übertreffen. Er schloss die Augen, um die Konzentration zu erhöhen. Seine Sinne weiteten sich, vor seinem geistigen Auge entstand ein Abbild des Raumes. Die ruhigen Atemzüge des Mannes gegenüber gewannen an Schärfe. Er zögerte, zweifelte einen Moment an der Treffsicherheit seines Armes. Dieses Zögern genügte dem Zauberer, seine Kräfte zu sammeln. Als der Mann zu einem tödlichen Hieb ansetzte, hob er eine Hand. Winzige Lichter wanderten die Finger entlang, tanzten über die Haut bis ans Ende des Zeigefingers, wo sie zu einem kleinen Lichtblitz verschmolzen. Es war ein Effekt, wie er ihn früher in Schaubuden gezeigt hatte. Doch die Zeit reichte nicht für mehr und in der Dunkelheit des Erkers blieb die Wirkung nicht aus. Der Attentäter wich geblendet einen Schritt zurück. Der Zauberer folgte ihm durch den Raum, hob einen Arm und stiess die Handkante gegen die Kehle des Mannes. Er hatte die menschliche Anatomie in einsamen Stunden gründlich studiert und kannte die Stellen, die den kräftigsten Angreifer hilflos machten. Der Mann sackte mit einem Stöhnen auf den Boden. Der Zauberer nahm das Messer aus seiner Hand und warf es in eine Ecke des Raumes. Der Leib des Attentäters bäumte sich auf, dann wurde er still.
Heftig atmend richtete sich der Zauberer auf und stützte sich mit einer zitternden Hand auf den Schreibtisch. Sein Blick fiel wie zufällig auf das oberste Blatt des Kalendariums. Es war der 14. Tag im Novembermond. Jemand hatte dem Attentäter Einlass gewährt. Die Türen des Landhauses waren mit magischen Siegeln versehen, kein ungewollter Eindringling konnte sich ohne Hilfe Zugang verschaffen. Er vernahm ein leises Geräusch aus Richtung des Einganges. Als er aufblickte, stand die Frau in der Tür. Sie hielt eine dünne Kerze in einer Hand, ihre Augen waren so dunkel wie die Nacht draußen.
"Du bist entsetzt", stellte sie fest.
Er hörte die Schreie von irgendwelchen Tieren vor dem Haus mit ungewöhnlicher Schärfe und überlegte, ob sie das nahende Ende spürten.
"Ich hörte Geräusche", erklärte sie.
Er nickte. "Ein Test, zu erkunden, ob meine Wachsamkeit nachgelassen hat", meinte er.
Sie seufzte. "Wir alle finden den Tod früh genug." Das Blut hämmerte in seinem Schädel. Er hatte sich seit Wochen auf das Ende vorbereitet und nicht erwartet, dass es in dieser Weise sein Haus betreten würde.
Sie beugte sich nach vorn und hob das Messer auf. Gelassen betrachtete sie die Klinge in der Nacht.
"Der Stahl wurde vor vielen Jahrhunderten geschmiedet, doch es ist stets die Magie, die zuletzt über das Eisen siegt."
Dann wirbelte die Waffe durch die Luft. Ihre Spitze bohrte sich neben dem Kopf des Zauberers in das Holz des Bücherregals.
Sie sah ihn an. "Wirst du jemals wissen, ob ich absichtlich daneben geworfen habe?" Sie schüttelte den Kopf. "Es ist nicht von Bedeutung."
Alle Vorkehrungen hatten sich letztlich als ungenügend erwiesen, doch es war nicht der Ort, vergangene Versäumnisse zu bedauern. Die Frau wartete geduldig. Sie schien keine Eile zu haben, die Begegnung einem Ende zuzuführen.
"Ich wusste, wir würden uns eines Tages begegnen", erklärte sie. "Deine Macht strahlte unwiderstehlich in das Land."
Er überlegte kurz, ob sie Carl erledigt hatte. Der Adept wäre längst durch die Kampfgeräusche herbei gerufen worden.
"Weshalb diese Sicherheit, mich zu besiegen?"
Sie lachte. Der Klang erinnerte ihn an ein anderes Lachen, das für ihn bestimmt gewesen war.
"Du verstehst nicht. Es ist nicht wichtig, ob ich dich zu besiegen vermag. Am Ende wird es keine Sieger geben. Derart ist der Lauf der Dinge, gleichgültig, was wir anstreben."
Der kalte Nachtwind rüttelte an den Fensterflügeln, ein Blitz strich den Himmel entlang, doch der Zauberer achtete nicht weiter darauf.
Er senkte die Hände. "Ich kann nicht länger wachsam und mächtig sein."
Sie nickte und streckte die Arme in einer endgültigen Geste aus. Ein zweiter, stärkerer Blitz fuhr durch die Dunkelheit. Eine Sekunde standen sie einander gegenüber. Beide hatten etwa dieselbe Grösse. Ihre Gesichter verband eine Ähnlichkeit, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Fremde Betrachter hätten sie wohl für Geschwister oder gar Zwillinge gehalten. Sie trug eine kleine Narbe auf der rechten Wange, an derselben Stelle, an der ihn einst der Messerstich eines Soldaten erwischt hatte. Ihre Augen trafen sich, beide von einem tiefen Grün.  Mit einem Ruck drehte sie sich um und ließ ihn in seinem Gemach alleine zurück.
Er trat zum Fenster, öffnete es und sog gierig die kühle Luft der Nacht in seine brennenden Lungen. In seinen Gedanken nahm er sich vor nach dem Verbleib seines letzten Getreuen zu sehen. Vielleicht brauchte er Hilfe. Er atmete noch einmal tief durch, dann wandte er sich um. Sein Blick streifte noch einmal den kampfunfähigen Attentäter, noch ein Problem welches zu lösen war, und machte sich auf nach Carl zu suchen.
So entging Ihm die geduckte Gestalt einer Frau auf dem Rücken eines Drachen, die am Horizont verschwand.

*****

Zwei Wochen war Ambrosius nun schon zu Gast bei Basolamona. Es war im Spätherbst. Die Bäume waren dabei, das letzte Laub abzuwerfen, die Stürme fegten einem den letzten Rest Sommerlaune aus dem Kopf und die Nächte waren empfindlich kalt geworden.
Die Sonne hing tief am Himmel tauchte alles in ein bezauberndes goldenes Licht, was es ihm unmöglich machte, der Verlockung eines Spaziergangs längs des Baches zu widerstehen. Er genoss solche kleinen Ausflüge, sie gaben ihm Energie, die er gut gebrauchen konnte, schließlich war er nicht mehr der Jüngste.
Es sah entzückend aus, wie die Sonnenstrahlen sich im unruhigen Wasser brachen. Er war richtig in den Anblick verliebt, vertiefte sich darin und ließ sich faszinieren und so kam es, dass er minutenlang gebannt die Wellen und Strudel betrachtet, bevor er das Augenpaar bemerkte, das ihn von eben jener Stelle im Wasser, die er schon seit Minuten anstarrte, misstrauisch beäugte. Er zwinkerte zweimal, um die Illusion abzuschütteln. Das Augenpaar blinzelte zurück.
Als er es schaffte, sich aus seiner Erstarrung zu lösen, war dort nichts mehr zu sehen als die hektischen Strudel und Wellen. Er begann sich zu fragen, ob er vielleicht langsam senil wurde. Er konnte sich nichts vormachen: Dort im Wasser, mitten in der Strömung, hatte er deutlich die Hälfte eines grünlichen Gesichtes gesehen: Breite Nase und flache Stirn, vorspringende Wangenknochen und ein ausgesprochen misstrauisch dreinblickendes Paar schwarzer Augen, alles eingerahmt von einer algenartigen Masse verfilzter, grünlich-grauer Haare. Er blieb noch einen Moment stehen und wartete, doch das Gesicht blieb verschwunden. Die Sonne verkroch sich hinter den Bäumen und mit leisem Bedauern machte er sich auf den Heimweg.

 

Auch am folgenden Nachmittag schien die Sonne. Er nahm Hut und Spazierstock und machte sich auf den Weg zum Bach.
Gemütlich schlenderte er am Ufer entlang, genoss die kühle Luft und den Sonnenschein. Auf einer Parkbank mit Blick auf den Fluss, nahe der Stelle, an der er gestern die seltsame Gestalt gesehen hatte, nahm er Platz. Leise rauschten die Bäume ringsum, von weitem hörte er Krähen krächzen. Aufmerksam beobachtete er die Wasseroberfläche, suchte den Fluss, soweit er ihn überblicken konnte, nach irgendetwas Ungewöhnlichem ab. Mit der Zeit kam es ihm vor, als blicke er vom Deck eines Schiffes, das leicht in den Wellen schaukelte, aufs Wasser. Nachdem er vielleicht eine Stunde gesessen hatte, fröstelte es ihn. Er wollte sich gerade erheben, als er ihn sah. Er saß auf einem Felsbrocken, mitten im Fluß und starrte ihn mit demselben misstrauischen Gesichtsausdruck an, wie am Vortag. Die ganze Erscheinung war von graugrüner Farbe, vom algenartigen Haar bis hinunter zu den breiten nackten Füßen, ausgenommen die großen Augen, die von geradezu bestechendem Schwarz waren. Er fragte sich, wie lange er da schon gesessen haben mochte und weshalb er ihn nicht bereits früher entdeckt hatte. Er saß völlig reglos und seine Konturen schienen auf eigenartige Weise mit dem Felsen zu verschwimmen, so dass es leicht war, ihn zu übersehen.
Er lehnte sich zurück und studierte eingehend das seltsame Wesen. Es war klein, nicht größer als 1,30m, hatte dünne Arme und Beine und einen runden Bauch. Sein Algenhaar reichte weit über die schmalen Schultern. Er vermochte nicht zu sagen, ob es Kleidung war, die seinen stämmigen Körper bedeckte, oder Schlingpflanzen. Nach kurzem Überlegen hob er eine Hand und winkte ihm zu. Es zeigte keine Reaktion, saß reglos da und starrte ihn an. Als sich hinter ihm ein Spaziergänger näherte, ließ die Gestalt sich kopfüber ins Wasser fallen und war verschwunden. Nachdem der Spaziergänger hinter ihm vorbeigegangen war, ohne ihm Beachtung zu schenken, wartete er noch eine Weile, doch das Wesen kam nicht zurück. Dann stand er auf und ging langsam nach Hause.
In den folgenden Wochen besuchte er ihn jeden Tag. Nach dem Frühstück sagte er immer zu den anderen Patienten: „Ich geh jetzt und treff Nix.“ Er saß auf seiner Bank, der TreffNix auf seinem Felsen und sie betrachteten einander. Sein Misstrauen schien allmählich einer gelassenen, nicht unfreundlichen Gleichgültigkeit zu weichen. Einmal schwamm er ganz in der Nähe des Ufers, so dass er seine Gesichtszüge aus der Nähe betrachten konnte. Auf seine Weise war er fast hübsch und er bewegte sich im Wasser mit einer Anmut, die keinen Zweifel daran zuließ, dass dies sein Element war.

Allmählich hielt der Winter Einzug. Die Tage wurden immer kurzer, die Nachtfröste hatten eingesetzt, die Luft war kalt und roch nach Schnee. Ambrosius nahm nun immer ein flaches Kissen mit, da er fror, wenn er so lange bewegungslos am Wasser saß.
Und dann saß er plötzlich auf seiner Bank. Er saß da, völlig bewegungslos und starrte auf seinen Bach. Er legte das Kissen auf die Bank und setzte sich neben ihn. Er betrachtete ihn aus den Augenwinkeln und stellte fest, dass seine Haut nicht von Schuppen bedeckt war, wie er vermutet hatte. Dafür entdeckte er Schwimmhäute zwischen seinen Fingern und den langen Zehen. Auch aus dieser Nähe konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob sein Haar nicht doch aus Schlingpflanzen bestand. Ein kühler, nicht unangenehmer fischiger Geruch ging von ihm aus. Sie saßen den ganzen Nachmittag schweigend nebeneinander und betrachteten das Wasser. Als die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war und die Dämmerung eingesetzt hatte, stand er auf und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Bachufer hinunter. Langsam schritt er ins Wasser, immer weiter, bis er schließlich in den Wellen verschwunden war.

Ambrosius erhob sich, um sich ebenfalls auf den Heimweg zu machen, als sein Blick auf die Stelle fiel, wo bis eben noch sein grüner Freund gesessen hatte. Dort lag eine Azalee, violett, etwa so groß wie eine Männerfaust. Er steckte sie sich an seinen Mantel und hütete sie seither wie einen kostbaren Schatz.

 

Den TreffNix hat er nie wieder gesehen.

 
 

 

 

 
 

Hier endet diese Geschichte. Aber nicht das Leben des  Ambrosius Gehret. Er wird uns wieder begegnen, an anderer Stelle, an anderem Ort, zu einer anderen Zeit. Garantiert.

Er ist sehr hartnäckig müsst Ihr wissen.!!

 
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